Belle-Île-en-Mer – der Name dürfte auch Leuten ohne Französischkenntnisse verraten, was einen hier erwartet: eine schöne Insel im Meer. Und tatsächlich hätte man keinen besseren Namen finden können. Die Insel ist von so einem überwältigenden Liebreiz, dass ich im Prinzip für immer bleiben möchte. Eigentlich sollte man auch gar nicht mehr über sie schreiben. Ich mache es trotzdem.
Belle-Île-en-Mer liegt vor der Küste der Bretagne, eingebettet im Golf von Morbihan. Sie scheint die Vorlage sämtlicher Bilderbücher über die hübschesten ländlichen Ecken Frankreichs zu sein. Smaragdfarbene Buchten, um die Kurven knatternde alte „Enten“, also CV2, dramatische Küsten überwachsen mit üppigen Grün, hutzelige kleine Fischerdörfer mit bunten Häusern. Und dazu Strände, deren Sand man eher im Süden Frankreichs vermutet hätte. All das und mehr ist Belle-Île.
Direkt im Hafen vom quirligen La Palais kommen wir, das sind Nina von Smaracuja, Steven von Funkloch, Christine von Bretagne Reisen und ich, mit der Fähre von Quiberon an. Die Fahrtzeit auf die Insel betrug etwa eine Stunde. Selbst in der Nebensaison ist am Hafen schon ordentlich was los, und ich ahne schlimmes, werde aber schnell eines Besseren belehrt. Wir werden abgeholt, hieven unsere Koffer ins Auto, und dann geht es los – wir starten zu einer ersten Rundfahrt, enden werden wir später an unserem Hotel.
Sobald man Le Palais verlässt, wird es deutlich ruhiger auf der Insel. Entlang der Straßen fahren kaum Autos, unser lokaler Guide kennt fast alle die uns entgegen kommen. Man grüßt sich herzlich mit Winkerei. Inselleben. Der erste Eindruck ist überwältigend. Die Insel ist herrlich grün und ziemlich flach, bis auf die gewaltigen Küsten natürlich. Wir fahren durch hübsche kleine Orte vorbei an Feldern, die gerade beackert werden, Frühling liegt in der Luft. Das emsige Treiben ist wie eine Erwartung auf die Versprechungen des Sommers. Dann wird es hier unglaublich voll werden, die Insel ist unter Franzosen längst kein Geheimtipp mehr. Ich kann das komplett nachvollziehen, bin aber sehr froh, dass wir in der Nebensaison hier sind.
Nur auf einen kleinen Schluck halten wir an der Inselbrauerei Brasserie La Morgan an. Der Braumeister hat gerade eine Gruppenführung, wir nutzen die Gunst der Stunde, um uns einfach nach draußen in die Sonne zu setzen und aus der Liste der Biere zu wählen. Kein großes Wunder: uns schmeckt es!
Aber wir sind ja nicht zum trinken hier, sondern wollen noch viel sehen. Eine kurze Fahrt führt uns zur Pointe des Poulains, auf dessen Landspitze einer der bekanntesten französischen Schauspielerinnen des 19. Jahrhunderts, Sarah Bernhardt, eine alte militärische Festung erwarb und es fortan zur Erholung nutzte. Heute steht hier ein Museum, dass ihren Werken und Leben gewidmet ist. Wir schauen es uns nicht an, wohl aber daran vorbei und können zum ersten Mal auf die wilde Küstenseite der Insel schauen.
Der Anblick ist atemberaubend. Das Meer hat die Felsen schroff geformt, und doch ist das Wasser nicht tief, immer wieder schimmert es smaragdgrün und zeigt sich von seiner sanften Seite.
Ein paar Ecken weiter sehen wir Surfern zu, wie sie am Plage de Donnant wagemutig in die Wellen springen und sich, begleitet vom lauten Getöse der Brandung, ans Ufer bringen lassen. Wir frieren schon beim Zuschauen.
Und dann, eine Biegung weiter südlich, stehen wir vor einem lebendigen Kunstwerk. 1886 kam Claude Monet zum ersten Mal nach Belle-Île-en-Mer und war beeindruckt von der gewaltigen Schönheit der Insel. Die aufgewühlte See war für ihn ein ideales Motiv, um Bewegung in seine Bilder zu bringen, so dass er mehrere Monate hier verbrachte und etliche Werke schuf. Die berühmtesten dürften die der Reihe „Die Pyramiden von Port Coton“ sein – auf dessen beeindruckende Felsspitzen wir am Nachmittag schauen.
Wir checken in unser Hotel, das La Grand Large ein, direkt mit Blick auf Meer und Felsen. Ich sehe einen Fischer auf seinem kleinen Boot in den Sonnenuntergang schippern. Wir schmeissen nur schnell unsere Koffer ins Zimmer und treffen uns auf der Terrasse auf einen Aperitif und ein paar Snacks. Die Meeresluft macht hungrig, das Abendessen wenig später inhalieren wir innerhalb weniger Minuten – und zudem erreichen wir den ultimativen Reise-und Erlebnisoverkill Punkt und gackern irgendwann wie Teenager über die simpelsten Dinge. Wahnsinnig lustig, aber manch Blicke von rechts und links verraten uns, dass wohl es Zeit ist, um ins Bett zu gehen.
Am nächsten Morgen geht es für uns zurück nach Le Palais, aber noch müssen wir die Insel nicht verlassen. Wir wollen Belle-Île noch einmal ohne Auto erobern. Überall kann man sich hier Fahrräder, Roller, Motorräder oder sogar eine alte Ente, eine CV2, mieten um die Insel zu erkunden. Meine Mitreisenden mieten sich Fahrräder.
Ich gehe derweil mal kurz unter Wasser. Ja, kein Scherz – natürlich kann man vor Belle-Île-en-Mer auch tauchen. Dafür brauche ich aber, im Gegenteil zu vielen Tauchdestinationen auf der Welt, ein ärztliches Tauchattest, das ich mir vorher besorgt hatte. Ich bin qualifizierter Advanced Open Water Padi Diver – habe also die entsprechende Lizenz zum Tauchen. Direkt am Hafen sitzt die Tauchschule Angélus Plongée, die mich fachkundig hinaus und hinunter begleiten werden. Die beiden Herren sind etwas skeptisch: wer will in dieser Jahreszeit im wilden und kalten Meer tauchen gehen? Ja, das wäre dann wohl ich.
Ich werde wie Mariah Carey in einen viel zu engen und extra dicken Tauchanzug gestopft, und wir tuckern raus. Es ist windig, die Wellen sind schwer aktiv und als wir runter gehen, muss ich mich die ersten zehn Meter kräftig am Seil festhalten, um nicht von den starken Strömungen weggerissen zu werden. Die Sicht lässt natürlich bei einem solchen Wetter zu wünschen übrig, aber ich bin ein Dickkopf und will trotzdem durchhalten. Und tatsächlich: nach 30 Minuten sehen wir eine dicke und alte Krake, die in ihrer Höhle gerade ihr Mittagessen verspeist. Ich kann nur ihre Arme sehen, die locker den Umfang meiner Arme haben. Deutliches Zeichen: das muss ein großes Tier sein. Spannend. Und wenige Minuten bevor wir uns mit Daumen hoch auf das Aufsteigen einigen, dann das Unerwartete: wir sehen, wie sich zwei junge kleine Haie paaren. Mein Tauchlehrer zeigt mir die dazu passenden Tauchzeichen. Ich glaube jeder kann sich denken welche Zeichen das sein könnten, und ich muss in meine Maske lachen. Der Tauchgang hat sich wirklich gelohnt.
Zurück an der Tauchbasis darf ich im Hafenamt heiß duschen und mir die Haare föhnen. Dann gehe ich ein paar Häuser weiter und miete mir einen Roller. Ich kaufe ein paar Leckereien ein, denn ich weiß, dass meine Reisefreunde vorhin schon einiges geshoppt haben. Mit vollen Taschen knattere los, auf der Suche nach meinen Mitreisenden. Die Sonne scheint, die Halme auf den Feldern wiegen sich wie das Meer neben an hin und her, und weil mich das so glücklich macht, grinse ich wie ein Honigkuchen-Pferd und schlucke ein paar Fliegen. Kurz vor einer kleinen sandigen Bucht finde ich meine Leute. Hier machen wir Halt, packen unser Picknick aus und kommen uns vor wie Götter, natürlich französische. Bien-sûr.
Unser Ziel ist Pointe de Pouldon, eine der unvorstellbar dramatischen Landzungen der Insel, die so typisch für ihre wilde Küste ist. Wir staunen, Steven lässt seine Drone steigen, Nina knipst sich wie ich die Finger wund. Bis wir dann endlich genug Bilder haben und einfach nur den Ausblick geniessen können.
Wenn sich die Wellen des Meeres hier an den Felsen brechen, sieht das von oben aus wie in Zeitlupe, genau wie die Seevögel, die hier wie in Slow Motion ihre Runden drehen. Mir pustet der Wind noch einmal den Kopf frei. Kann ein Tag besser sein als dieser? Ich glaube nicht. Ich will hier nicht weg, aber schon vier Stunden später sitze ich auf der Fähre nach Quiberon und schaue noch einmal wehmütig auf Belle-Île zurück. Au revoir, bis zum nächsten Mal, du schöne Insel im Meer.
Disclaimer: Auf die Reise wurden wir vom Tourismusverband der Bretagne eingeladen. Das Titelfoto zu diesem Beitrag hat Steven Hille geschossen.