Shodoshima, eine Insel im Süd-Westen von Japan. Ein kleiner Kutter kämpft sich mit uns bei Sonnenuntergang über die Wellen. Die Luft schmeckt herrlich nach Salz und legt sich auf meine Lippen. Noch weiß ich nicht, dass ich morgen das beste salzige Geschmackserlebnis meines Lebens haben werde.
Glaubt man japanischen Mythen, wurde Shodoshima von Shinto Göttern erschaffen. Der Name beutetet so viel wie „Kleine Bohnen Insel“ – und genau da sind wir auch schon beim Thema. Denn Shodoshima ist bei Japanern vor allem für die Soja Bohnen Produktion und deren Weiterverarbeitung bekannt. Allerdings arbeiten nur noch wenige Soja Brauereien nach traditioneller Methode. Alle Soja Saucen, die ich in einem Leben bisher zum Würzen benutzt habe, stammen aus maschineller Herstellung. War mir das bewusst? Nein, ehrlich gesagt nicht. Haben sie mir geschmeckt? Nein, ehrlich gesagt nicht. Salzig halt. Nichts besonderes. Die Soja Bohnen werden maschinell in großen Stahltanks fermentiert – für maximal 3 Monate, die für den Fermentierungsprozess nötigen Bakterien werden künstlich zu gesetzt. Traurige Massenware.
Aber es geht auch anders. Handgemacht. Mit Liebe, Zeit, Handwerk, Wissen, Hingabe. Echt japanisch eben. Wie bei Yamaroku. Der Familienbetrieb braut Soja Sauce seit 150 Jahren auf traditionelle Weise. Wir werden von Yukako empfangen, einer Braumeisterin, die uns den Betrieb zeigen will.
Sie schiebt die quietschende Holztür zur Seite und führt uns in die heilige Halle, die für den ungeübten Blick nach einer einfachen Scheune aussieht. Aber hier lagert kulinarisches Gold, eine der besten Soja Sauce der Welt wird hier fermentiert. Sofort strömt ein betörender Duft in meine Nase. Es riecht nach Salz und Alkohol – und nach Umami. Ich wusste bisher nicht, dass man Umami auch riechen kann. Der Geruchssinn der Braumeister sei so gut ausgebildet, höre ich, dass sie allein durch Erschnuppern der Luft wissen, ob alles seinen richtigen Fermentierungs-Gang läuft.
Bei Yamaroku werden die Soja Bohnen in großen Holzfässern, den sogenannte Kioke, fermentiert. Wie für jeden natürlichen Fermentierungsprozess braucht es Zeit und gute Mikroorganismen, also gute Bakterien und Enzyme um den Reifeprozess zu starten. In der sterilen Produktionswelt der großen Firmen finden sich diese wichtigen Zutaten nicht mehr. Bei Yamaroku aber werden sie gehegt und gepflegt. Die Braumeisterin bittet uns, nichts im Lagerhaus anzufassen, denn die grauweiße Schicht, die die Holzfässer, die Wände und andere Teile des Raumes überzogen hat, ist im Prinzip der beste Mitarbeiter, den die Brauerei hat: kleine Sporen, die die Bohnen umwandeln. Manchmal höre ich ein feines Blubbern, die einige Meter hohen Fässer sind randvoll mit einer Soja Pampe gefüllt.
68 Fässer betreibt die Brauerei so. Nur 1% aller Soja Saucen Japans werden noch mit dieser Methode hergestellt. Der Ertrag ist zu niedrig, die Arbeit zu anstrengend. Und nach dem zweiten Weltkrieg hatte die japanische Regierung die Brauereien ermutigt, auf Stahlfässer umzustellen.
Der Blick von Yukako verdunkelt sich. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, und sie versucht Worte zu finden. Ich schaue unsere Übersetzerin an, auch sie ringt bei den Erklärungen mit Tränen. Noch wissen wir nicht worum es geht. Aber die Stimmung überträgt sich, und auch ich wische mir die Augen. Dann endlich höre ich um was es eigentlich geht. Durch die zunehmende Industrialisierung der Soja Saucen Produktion, kam langsam aber sicher ein großes Problem auf die handwerklichen Meisterbetriebe zu: die Kioke wurden immer rarer. Die einzig verbleibende Firma, die die nötigen Holzfässer herstellt, steht aktuell kurz vor der Schliessung. Das wäre irgendwann zwangsläufig das Ende für Yamaroku und vor allem das Ende von traditionell hergestellter Soja Sauce gewesen.
Yukako atmet einmal tief ein, hebt ihren Kopf und sammelt ihre Stimme. Yasuo Yamamoto, Brauereibesitzer von Yamaroku in 5. Generation, erzählt sie, habe statt den Kopf in den Sand zu stecken, die Herausforderung angenommen. Und die komplizierte und schwierige Bautechnik der Holzfässer erlernt – und mittlerweile übernommen. Hinten auf dem Familienbetrieb zeigt sie uns ein Fass.
Es wird aus Zedernholz und Bambus per Hand hergestellt um später einmal ein nicht mehr nutzbares Fass für die Produktion zu ersetzen. Nur so ist das Überleben des Familienbetriebes und anderer Meisterbetriebe, und damit die Herstellung von hochwertigen Soja Saucen gesichert. Andere interessierte Soja Brauereien können in Workshops bei ihm lernen, wie man die Fässer herstellt. Theoretisch. Auch Besitzer Yamamoto hat drei Jahre gebraucht, um den komplizierte Prozess zu verstehen. Auch deshalb kann er sich vor Aufträge gar nicht mehr retten. Jetzt endlich dämmert es mir – vor wenigen Wochen habe ich die großartige Netflix Reihe „Salt, Fat, Acid, Heat“ – zu Deutsch „Salz, Fett, Säure, Hitze“ gesehen – eine Dokumentation von und mit Köchin Samin Nosrat (dessen Gerichte ich übrigens mal in Berkeley essen durfte!). Ich erinnere mich, dass sie für den „Salz“-Episode so eine Soja Brauerei besucht hatte. Ich war fasziniert! Und jetzt wird mir endlich klar, dass sie genau hier war. Hier bei Yamaroku.
Yukako geht mit uns in den Verkaufsraum. Endlich können wir die Soja Saucen probieren. Ich ahn schon, dass mir das zum Verhängnis werden wird. Wie damals, als ich zum ersten Mal handgemachten, 40 Jahre alten Balsamico Essig probierte und seitdem bei jedem normalen Balsamico aus dem Supermarkt das Gesicht verziehe. Und natürlich kommt es genau so. Der Moment, in dem die vier Jahre gereifte Soja Sauce Tsuru Bishio meine Zunge berührt ist wie eine Umami Explosion in meinem Mund. Weich, sanft, rund, samtig und doch einnehmend und betörend. Innerlich muss ich ein wenig weinen. Wohl wissend, das mich dieser Geschmack und seine Einzigartigkeit mein Leben lang nicht verlassen wird. Andere merken sich Namen, ich merke mir Geschmäcker. Natürlich packe ich mir die Taschen voll, für mich und meine Freunde, denen ich so einen guten Tropfen anvertrauen kann.
Aktuell habe ich noch eine Flasche im Kühlschrank. Aber irgendwann muss ich wohl tief in die Tasche greifen und die Sauce für enorm viel Geld importieren. Oder einfach noch mal zurück nach Shodoshima reisen. Ich bin eindeutig für letzteres.
Disclaimer: Auf diesen Trip wurde ich von dem Fremdenverkehrsamt von Shodoshima und Shikoku sowie All Nippon Airways zu einer Pressereise eingeladen.