Ach, du schöne heile Welt. Die ersten Bilder, die ich vom Staat Alabama sehe haben so gar nichts mit denen zu tun, die mir das Fernsehen in den Kopf gesetzt hat. Ab und an schaue ich peinliche Serien.
Meistens wenn ich vom Jetlag geplagt bin und nicht schlafen kann. Eine davon ist besonders peinlich und wirklich schlecht gespielt, aber ich schaue sie trotzdem. Und ich weiß, dass die heile Welt darin völliger Quatsch ist. „Hart of Dixie“ heißt sie. Vielleicht kennt ihr sie. Sie spielt in der Bilderbuch- und Fantasiestadt Bluebell in Alabama. Dort laufen die Damen zurecht gemacht wie für eine historische Modeshow durch die wie mit Zahnbürsten polierten Straßen, überall sind Blumen gepflanzt und in der Bar „Rammer Jammer“ steht Wade – fast immer mit nacktem Oberkörper und lächelt mit strahlend weißen Gebiss.
Im echten Alabama sieht die Welt anders aus. Natürlich wusste ich das. Aber selbst jede Alltags-Realität, die ich mir vorgestellt hatte, ist meilenweit von dem entfernt, was sich vor meinen Augen abspielt. Ich stehe an einer Tankstelle. Die Farbe an den Wänden blättert. Es dauert einige Zeit, bis sich mein Wohnmobil füllt. Der Tankwart erzählt mir, man könne mit einer Staatenfremden Kreditkarte nur bis maximal 100 Dollar auftanken. Ihm fehlen ein paar Zähne. Er ist vielleicht 30 Jahre alt. Gerade als er mir aus welchen Gründen auch immer noch verrät, dass es keine gute Idee ist, hier von irgendjemandem Drogen zu kaufen (wie wirke ich bitte auf andere????) geht die Tür hinter ich auf und ich erhasche einen Blick, der so verstörend wie irgendwas ist. Ein etwa 20jähriger Mann geht an mir vorbei. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie seine Blicke mich fixieren. Er sieht schlimm aus, so wie die Menschen aussehen, wenn man im Internet nach „Vorher / Nachher Bildern von Methsüchtigen“ sucht. Sein Gesicht spricht Bände: Nachher.
Ich zahle und gehe wieder zum Wagen. Es dauert noch etwas bis ich den Wagen starte, ich will in Ruhe mein Navi füttern. Im Rückspiegel sehe ich, wie sie der junge Mann noch einmal nähert. Er geht vor meinem Wagen vorbei, mustert mich durch die Windschutzscheibe und mein Herz pocht schneller. Hinter meiner verspiegelten Sonnenbrille verziehe ich keine Miene. Obwohl mein Herz spricht, was mein sich Mund nicht zu sagen traut: „Warum hast du dir das angetan?“.
Wenige Kilometer weiter fahre ich in die heile Welt eines Campingplatzes Hidden Cove RV. Ich war durch kleine Straßen gefahren, hügelig, durch Wiesen, habe Bauernhöfe gesehen, die dastanden, als würden sie auf einen Maler warten. Wie so oft in den Südstaaten passt die Schönheit der Landschaft nicht zu der Armut und zu den verschrobenen Ansichten vieler Menschen hier. Und als ob es der Reisegott versöhnlich mit mir meint, bekomme ich von Campingplatz-Mutti Becky, die mich mit strahlend weißem Lächeln begrüßt, den letzten freien Platz zugeteilt. Er wäre ein wenig abseits, sagt sie. Und ich müsse ordentlich rangieren. Das mache ich, denn als ich den Platz sehe weiß ich: er ist Gold wert.
Hier will ich bleiben. Ganz am Ende des großen Areals: ohne Nachbarn, direkt an einem kleinen grasigen Hang zu einem glasklaren See. Ich stelle meine Schaltung auf „Park“, packe meine Stühle aus, rolle die Markise nach unten, gehe runter zum See und springe rein und schwimme.
Erfrischend. Wohltuend. Versöhnlich.
Hier gibt es kein „Rammer Jammer“, es gibt keinen Wade, keine Mädchen in bunten Kleidern. Nur den Sonnenuntergang, den See, die Ruhe, mein Wohnmobil und mich.
Und ich bin froh, dass ich mich, am wohl schönsten Campingplatz der Südstaaten, ein wenig rausziehen kann aus der bitteren Realität. Ach, schöne heile Welt.
Vor einigen Jahren habe ich meinen Job an den Nagel gehängt um zu reisen. Über 90 Länder habe ich bisher gesehen. Schau dich um und lass dich inspirieren!