Soweit das Auge reicht führt mich meine Straße stur geradeaus. Immerhin überwinde ich ein paar Hügel und ab und an auch mal ein paar kleine Kurven. Ich fahre auf dem Blues Highway mit der Nummer 61 durch den Staat Mississippi.
Rechts und links begrünte Wiesen, mächtige Plantagen, kleine Farmen und Wälder. Das Radio habe ich auf einen Blues-Sender umgestellt und höre zu, wie brummende Männer darüber singen, dass ihnen die Frauen weggelaufen sind oder dass sie keinen Dollar mehr haben.
Die Sklaven haben das Klagelied erfunden, hier im Süden der USA. Ihr Leid war groß. Millionen wurden vor allem aus West-Afrika in die neue Welt verschleppt und zum Arbeiten gezwungen. Sie mussten Entsetzliches ertragen und es dauerte lange, bis sie als freie Menschen leben konnten. Geschichte und Gegenwart liegen in den Südstaaten recht nah beieinander und mich beschleicht das Gefühl, dass noch heute vieles davon nicht verdaut ist. Was auf der Nachkommens Seite der Sklaven verständlich ist, aber ich meine etwas anderes.
Ich besuche eine Plantage namens Oak Alley, von der ich vorher im Prinzip nur wusste, dass hier „Interview mit einem Vampir“ gedreht wurde und nicht viel mehr. Umso erstaunter bin ich, als mir klar wird, dass hier früher Zucker angebaut wurde – mit Sklavenhänden. Eine Stiftung hat das alte Anwesen wieder in seinen Urzustand versetzt und die ehemaligen Behausungen der Sklaven aufbereitet. Jetzt befindet sich hier im Prinzip eine Art Freilichtmuseum.
Ich wandle zwischen den nachgebauten Hütten der Sklaven, schaue hinein und versuche mir vorzustellen, wie die Menschen hier gelebt haben. Ihre Namen wurden an die Wand geschrieben, dass man ihnen so ein Denkmal setzt rührt mich – aber ich frage mich auch, wie viel Berechnung dabei ist.
Führung durch das Herrenhaus. Eine junge Frau, zurechtgemacht wie aus anno dazumal, bringt eine Gruppe Touristen durch das Gebäude. Mit ihrem schweren Südstaaten-Akzent und großer Geste erzählt sie ausschweifend vom Leben der reichen Familie, deren Vorlieben, den großen Dinner-Abenden.
Die Geschichte der Sklaven kommt nur in Nebensätzen vor – meist mit einem Witz verbunden. Die Touristen lachen. Mir stößt das auf. Kein einziger Satz fällt darüber, wie das Leben der Sklaven hier wirklich war. Lediglich am Ende verweist die junge Frau auf die Ausstellung am anderen Ende des Anwesen, dort wo ich schon war. Sie schließt lappidar mit dem Satz „And right behind y’all find the gift shop“ – und ich frage mich, ob es dort auch irgendwelche geschmacklosen Magneten mit Abbildungen der Sklaven zu kaufen gibt.
Eine schlaue Touristin will wissen, ob es denn auch eine Liaison zwischen Herrscher und Sklaven gegeben hat, denn das kam sogar sehr oft vor. Die weiße Familie lebte auf dem Landsitz, in der Stadt hatte der feine Herr der Plantage oft seine Zweitfamilie untergebracht. Die Antwort kommt zögerlich „Ach, wir sind immer noch bei der Auswertung der Briefe von damals. Aber der Sohn des Besitzers, der hatte wohl mal was mit einer Sklavin. Mehr wissen wir noch nicht.“ Eine komische Antwort, die mich nicht zufrieden stellt, denn seit Jahren ist Oak Alley eine Stiftung, da hätte man mal langsam fertig sein können mit der Recherche. Rechts und neben mir will man das anscheinend gar nicht so genau wissen, viele der Besucher scheinen aus benachbarten Südstaaten zu kommen. Das meine ich: hinter vorgehaltener Hand schwärmen noch viele von der “guten alten Zeit” – der Rassentrennung. Schrecklich.
Überhaupt: die Staaten hier unten sind recht konservativ. Rednecks werden einige ihrer Bürger genannt. An manchen Geschäften lese ich „We don’t call 911“ und darunter ist ein Gewehr abgebildet, an den Stoßstangen wird klar gemacht „Pro Life, Pro God, pro Gun“ und ganz hartgesottene erkläre auf Stickern wie Scheiße die Obama finden. Waffen und Munition gibt es hier an jeder Ecke zu kaufen. Auf einem Campingplatz erzählt mir eine nette Kanadierin, die seit Jahren in den USA lebt, dass das lokale County jahrelang nicht den Staatlichen Martin Luther King Day gefeiert hat, bis der Staat drohte, die Subventionen abzudrehen, wenn man den Feiertag nicht anerkannte.
Für mich ist das nicht nur schwer zu verstehen, sondern vor allem auch schwer zu verdauen. Denn es passt nicht zu den schönen Landschaften, die ich hier sehe. Der weite Himmel gaukelt Grenzenlosigkeit und Freiheit vor, der Mississippi Bewegung und Fortschritt, die grünen Wiesen Wachstum. Und oftmals mag das auch stimmen. Denn je weiter nördlich man kommt, umso mehr Veränderungen finden wohl nicht nur in den Köpfen der Menschen statt.
Ganz zum Schluss meiner Reise, als ich in New York wie blöde auf den Central Park glotze, fällt mir wieder ein alter dummer Spruch ein: „Jedes Land hat ein Südstaaten Problem“. Irgendwie stimmt’s. Schön war es trotzdem.
Mein Tipp für Oak Alley: Wenn man das Anwesen über das Restaurant betritt (hinten am Parkplatz) ist der Eintritt kostenlos. Sonst (mit Führung durch das Herrenhaus) kostet der Eintritt 20 Dollar. Ich fand vor allem die Freilichtausstellung wirklich gut gemacht – Berechnung hin oder her). Die Tour durch das Herrenhaus hätte ich mir sparen können, ich fand die Führung zu einseitig.
Ja, die schöne Gegend macht sich selbst viel kaputt! Europäer lassen sich mit solchen lapidaren Antworten nicht abspeisen. Mich begeistern trotzdem deine Bilder, sie laden ein zum träumen…
Wieder mal ein schöner Bericht von Deiner Reise. In der Tat, in einigen Südstaaten wundert sich manchmal eine wenig über verschiedenen Dinge, die für uns Europäer mehr als befremdlich sind. Das ist die Einstellung zu Waffen, wie von Dir beschrieben und auch die spürbaren Kluften zwischen schwarz und weiß.
Vor einigen Jahren habe ich meinen Job an den Nagel gehängt um zu reisen. Über 90 Länder habe ich bisher gesehen. Schau dich um und lass dich inspirieren!
Ja, die schöne Gegend macht sich selbst viel kaputt! Europäer lassen sich mit solchen lapidaren Antworten nicht abspeisen.
Mich begeistern trotzdem deine Bilder, sie laden ein zum träumen…
Danke Anna – die Bilder in meinem Kopf sind auch sehr versöhnlich… aber da steht noch viel Arbeit an – in den Köpfen der Menschen!
Mir ging es leider genauso. Noch ein Tipp für Oak Alley: den Mint Julip probieren, der ist es wert, aber vorsicht, er ist sehr stark.
ich hätte ihn fast probiert, wenn es nicht einen Platzregen gegeben hätte – da bin ich schnell zum Wohnmobil gerannt…. 😉
Wieder mal ein schöner Bericht von Deiner Reise. In der Tat, in einigen Südstaaten wundert sich manchmal eine wenig über verschiedenen Dinge, die für uns Europäer mehr als befremdlich sind. Das ist die Einstellung zu Waffen, wie von Dir beschrieben und auch die spürbaren Kluften zwischen schwarz und weiß.
LG Thomas
Ja und genau das ist so greifbar dort. Und so schwierig zu verdauen…