Von VOLKER WINKEL
Schon als ich langsam die Rolltreppe runterfahre, fixiert mich die alte Frau vom Bahnsteig aus mit ihren Augen und ruft mir zu. „Go your way, just go“. Meint die mich? Erst denke ich, sie will mir den Weg zur richtigen U-Bahn zeigen. Wie nett. Als ich aber mit meinem großen Rucksack bepackt an ihr vorbeigehe, wird mir klar, dass sie anscheinend etwas Größeres, etwas im übertragenem Sinne meint. „You are doing the right thing. Destiny is leading you.“ Ihre langen Rastalocken wirbeln dabei in alle Richtungen. Okay, in den USA wird man auf der Straße sehr oft spontan gesegnet oder einem werden die besten Wünsche vom lieben Gott zugerufen. Aber als ich in die Metro einsteige, fühle ich mich auf eine – zugegebenermaßen pathetische Art – bestätigt und habe das Gefühl, einen besonderen Moment zu erleben. Bestätigt den Job gekündigt zu haben und einfach mal wegzufahren. Gleichzeitig kommt mir der Blick der alten Frau sehr gespenstisch vor und ich bin froh, dass sie nicht mit in den Wagon einsteigt.
Während meiner einmonatigen Reise durch die USA habe ich ziemlich viele Dinge erlebt, die schönsten und intensivsten Momenten waren oft die Begegnungen mit den Amerikanern selber:
In Nashville im Industriegebiet an der Ausfahrt eines LKW Parkplatzes saß Michael. In der Hand das obligatorischen Pappkarton-Schild, darauf mit Edding geschrieben „California“. Michael „is doing the artist thing“ und will nach San Francisco. So sieht er auch aus, lange lockige Haare und neben ihm liegt eine bunt angemalte E-Gitarre. Vier Tage ist er schon per Anhalter unterwegs, seitdem er in Miami aufgebrochen ist. Er erklärt mir die besten Tricks. Ich bin neugierig und Michael rattert sein Expertenwissen runter. Ich erfahre, dass Trucker am ehesten Anhalter mitnehmen, es in vielen Staaten aber nicht wirklich legal ist und besonders für nicht US-Bürger problematisch werden kann. (“In most states the police will give you a very hard time if they get you as hitchhiking foreigner”) – außerdem erzählt er mir, dass einige Truckerfahrer auch einfach nur schnellen Sex suchen. Da müsse man ein bisschen aufpassen, da hätte er nämlich kein Bock drauf.
In Memphis fuhr mich William mit dem Taxi von der Greyhound Station in die Innenstadt. Ich sitze auf der Rückbank und hinten an seinem Baseball Cap steht „Vietnam Veteran“. Ich frage ich ihn, ob er in Vietnam war. Ja war er, 1963,1964. Als Gabelstaplerfahrer hat er Militärflugzeuge be- und entladen. Sein Bruder war auch „unten“, bei der Infanterie. Er hätte sogar in den Dschungel gemusst. Aber sie beide hätten Glück gehabt. Viele, viele andere hätten nicht so viel Glück gehabt und es nicht wieder zurück geschafft. Die meisten waren Anfang 20.
Die Namen von denen die „unten“ geblieben sind, kann man sich alle in Washington DC am Vietnam Memorial ansehen. Die Wand mit den zigtausend Namen der Gefallenen kenne ich schon aus dem Fernsehen, aber als ich dann in echt davor stehe, berührt es mich sehr. Es sind weniger ausländische Touristen dort, überwiegend Amerikaner, die Namen von Angehörigen suchen. Zufällig stehe ich neben einer Familie. Die Frau fährt mit ihrer Hand von oben nach unten über die eingravierten Namen. Dann verharrt sie in der Bewegung und hat ihn gefunden. Nach einem Moment erzählt sie, dass sie mit ihm in der Highschool war. Es sei eine große Tragödie in der Schule gewesen damals, als die Nachricht von seinem Tod in Vietnam eintraf. Die meisten auf der Highschool hätten ihn gekannt.
„Sie dürfen da ruhig sitzen junger Mann“. Danke ist ja echt freundlich, dass ich auf dieser öffentlichen Bank sitzen darf, denke ich, während ich den Sand von Coronado Beach, San Diego, aus meinen Schuhen schütte. „Das ist nämlich meine Bank“. Ja ja, schon klar. Als ich hochschaue, sitzt eine ältere und strahlende Frau auf der Nachbarbank. Mein anfänglicher Groll ist verflogen, ich lächle zurück und die alte Dame sitzt neben mir.
„Schau her, das ist meine Bank“, erklärt sie mir und zeigt auf die Tafel an der Rücklehne. Da steht’s:
To love and to be loved is to feel the sun from both sides with a sweat ocean breeze – In honor Don and Polly Valliere
„Und ich bin Polly“, fährt sie fort, „nice meeting you“. Ich bin beeindruckt. Bänke mit Widmungen oder Sponsortafeln kenne ich, meistens aus irgendwelchen Parkanlagen, aber noch nie habe ich vorher die eingravierten Personen in echt getroffen. Polly erzählt, dass ihre Tochter die Bank ihr und ihrem mittlerweile verstorbenem Mann geschenkt hat. Da sie mittlerweile trotz 17 grand and grand grand children etwas einsam sei in Coronado Beach, komme sie immer hierher „um die Welt zu treffen“. Genau das habe sie heute auch wieder gedacht. Und schwupps, saß ich da, der nette junge Mann aus Munich. Welch ein Zufall, oder Vorhersehung? Dann müssen wir beide lachen bis sich unsere Wege wieder trennen.
Über den Autor: Volker ist ein ein Freund von mir aus München. Er hat sich eine kleine Auszeit genommen und seinen Traum verwirklicht: einen Monat lang quer durch die USA reisen. Vom Erspartem. Für Reisefreunde berichtet er von seinen spannensten Erlebnissen. Wenn ihr Kontakt zu Volker haben wollt, dann gern einfach über mich.
Vor einigen Jahren habe ich meinen Job an den Nagel gehängt um zu reisen. Über 90 Länder habe ich bisher gesehen. Schau dich um und lass dich inspirieren!
Ein echt super-toller, bewegender und unterhaltsamer Bericht!
Schöner Bericht. Ich mag auch den Kontakt zu den Einheimischen. Da lernt man das Land richtig kennen. Viele Grüsse aus Zürich