Ich starre. Vor mir sehe ich eine Tapete. Es muss eine Tapete sein oder die Truman Show. Aber es ist Rhône-Alpes im Sommer. Erst eine Schweißperle -die mir ins Auge läuft- bringt mich aus der meinem visuellen Wahn.
Die Landschaft vor meinen Augen ist doch echt. Oder nicht? Prüfend drehe ich mich zur Seite und schaue Philippe Desbos an. Er ist Weinbauer in der Domaine de Gouye. “Schön, oder?” flüstert er mir zu, als wolle er mich nicht zu schnell aus meiner Andacht reißen. “Ja, unwirklich schön” sage ich zu ihm. Wir stehen auf seinem Weinberg. Von hier fällt mein Blick hinunter auf ein grünes Tal. Die Rhône schlängelt sich zwischen zwei mächtigen, mit Wein bewachsenen Bergen hindurch. Typisch Ardèche, denke ich. So heißt das Département hier. Jetzt kommen auch Philippes Hunde und glotzen mit. Ein paar weitere Minuten verstreichen bis uns die heiße Sonne zur Bewegung zwingt. Philippe zeigt mir sein kleines Weingut. Die Berge sind so steil, dass er seine Felder nur mit einer echten Pferdestärke bearbeiten kann, der weiße Gaul steht weiter unten zwischen schattigen Bäumen.
Seit Generationen stellt Philippes Familie Saint Joseph Weine her. In aller Ruhe. Die Presse ist aus dem 19. Jahrhundert und Philippe zeigt mir Fotos, auf denen er mit weinroten Beinen im Becken steht und selber noch mal nachhilft. Und lacht. Handarbeit wäre also fast das richtig Wort.
Was den kleinen Betrieb neben der hervorragenden Lage ausmacht, ist die Hingabe zur Arbeit. Ich finde, das schmeckt man. Gerne hätte ich mich hier gnadenlos betrunken und weiter mit Philippe geplaudert, aber die Zeit drängt, mein Tag ist noch lang.
Ich fahre weiter durch die französische Region Rhône-Alpes. Nathalie, die mich begleitet muss lachen, als ich mit ihr schimpfe. “Es ist furchtbar, 360 Grad Schönheit, egal wo ich hinschaue. Ich könnte überall Fotos machen”. In Rhône-Alpes war ich schon einmal dieses Jahr, allerdings im Winter der auch seinen Reiz hat und nicht so traurig daherkommt wie bei uns im Deutschland, schließlich ist dies hier schon Südfrankreich. Aber der Sommer – der Sommer hier ist wie aus einem Bilderbuch. Wir fahren durch kleine Dörfchen, buckelige Steinhäuser säumen die engen Straßen, über denen auch noch wie bestellt bunte Fähnchen wehen. Lavendelfelder blühen. Die Farben der Gärten und Wiesen an denen wir vorbeifahren, mischen sich in der Geschwindigkeit zu einem bunten Haufen. Kastanienbäume, hoch und mächtig, sehen wir in voller Blüte auf unserem Weg in die Berge. Es ist, mit Verlaub des viel zu oft von mir zitierten Spruches, zum Kotzen schön hier.
Wir stoppen hoch oben an einem Berg und betreten eine Käserei. Die Geschwister Veronique und Olivier führen das Geschäft “Les Fromager Fermier du Peytot”, eine Kooperative vieler Ziegenmilch Bauern, die hier die gewonnene Milch in gute Hände geben. So entsteht in vielen einfachen Schritten ein ganz besonderer Käse. Der Picodon. Je nach Reife entwickelt er ganz unterschiedliche Geschmäcker. Veronique und Olivier waschen ihn teilweise sogar in Wein, eine ganz besondere Delikatesse. Ich probiere mich einmal durch und schaue mir auch das Museum im oberen Stock an. Was mich besonders freut: Bruder und Schwester lieben ihren Job. Arbeiten mit Herz, wie wunderbar.
Mit etlichen Picodon in der Kühltasche ziehe ich weiter. Ich besuche einen Star in Rhône-Alpes. Die meisten, denen ich unterwegs begegnet bin, kennen ihn. Er ist ein Koch und nicht irgendeiner. Claude Brioude hat sich zu Recht einen Namen gemacht. In seinem Familienrestaurant Hotel du Levant in Neyrac-les-Bains, das schon von Großvater und Vater und davor schon von den Großmüttern betrieben wurde, hat nun er die Mütze auf. Und seine Leidenschaft ist die Innovation von alten Gerichten. Klassiker, die schon sein Großvater auf der Küche hatte, gestaltet er kunstvoll um. Zunächst treffe ich ihn auf einem Markt, wir gehen zusammen für den Tag einkaufen. Dann, im Hotel Restaurant, zeigt er mir, was er aus den Spezialitäten der Region alles zaubert.
Auf Schi Schi allerdings verzichtet er. Er kocht authentisch, saisonal und regional, denn er liebt sein Land und seine Region. Und er liebt Gemüse und die wohl berühmteste Zutat der Region: die Kastanie! Diese Leidenschaft hat sogar dafür gesorgt, dass er über letztere ein Kochbuch auf Deutsch veröffentlicht hat. Nach meiner Audienz in der Küche und nach meinem mal wieder zwei Stunden dauernden Mittagessen, das übrigens bis auf den letzten Krümel hervorragend war, schenkt er mir eines. Mit Widmung. Noch mehr Herz!
Ach, schaut doch einfach selbst:
Solche Tage erlebe ich nicht oft. Glücklich, erschöpft und -wie ich zunächst meine- Papp satt ist meine letzte Station auch zeitgleich meine Herberge für die Nacht. Das Chateau de Balazuc liegt im gleichnamigen Ort der als einer der schönsten Frankreichs ausgezeichnet wurde.
Zu Recht. Die wenigen Häuser hängen an einem steinernen Berg – mit Blick auf den Fluss Ardèche und steile Bergformation direkt dahinter. Majestätisch und atemberaubend schön. Ich bin noch verwunderter als ich ankomme, denn ich denke, wir haben uns wohl verfahren. Vor mir steht eine Burg und ich dachte, wir wären in ein Bed & Breakfast einquartiert. Und ich erfahre: das ist es auch – nur was für eine!
Die kleine Festung wurde von den beiden ehemaligen Journalisten Florence und Luc übernommen und gehört sicherlich zu den schönsten Orten dieser Welt, die ich jemals sehen durfte. Das Paar lebt hier seinen Traum aus: nämlich einfach nur perfekte Gastgeber zu sein.
Die vier Zimmer, die sie anbieten, sind individuell eingerichtet, ich denke “Schöner Wohnen” könnt glatt ein Sonderheft über das Haus veröffentlichen. Wir hatten vorher angefragt ob es möglich ist, dass wir uns selber bei Ankunft etwas kleines zum Abendessen mitbringen könnten – aber unsere Gastgeber hatten strikt abgelehnt und angeboten, selber eine Kleinigkeit für uns zu zaubern. Eigentlich ist das unüblich, denn wie der Name schon sagt, wird hier sonst nur Frühstück serviert (das -wie ich am nächsten Tag erfahren durfte- königlich ist). Nur einmal in der Woche machen die beiden sonst eine Ausnahme und servieren ihren Gästen am Abend Essen. Was bei unserer Ankunft auf dem Tisch stand, dramatisch getüncht in der goldenen Abendsonne, hat dann doch meinen Appetit angeregt. Aber seht selbst.
Und so ging wohl einer der schönsten Sommertage dieses Jahr zu Ende. Mit guten Essen, vielen herzlichen Menschen, ein paar Gläsern Wein, einer Runde im Whirlpool und der Erkenntnis, dass man eben doch wie Gott wohl nur in Frankreich leben kann.
PS: ich habe Florence und Luc um eine sofortige Adoption gebeten. Und als Plan B habe ich mich angeboten, während ihres geplanten Urlaubs den Betrieb zu übernehmen, ich hoffe sie erinnern sich noch daran…. das Angebot steht noch!
Auf diese schöne Reise wurde ich vom Fremdenverkehrsamt Rhône-Alpes eingeladen.
Nina von Smaracuja.de hatte großes Glück: ich glaube, sie hat den meisten Käse abbekommen (einen sogar mit fettem Bacon umwickelt). Aber ich befürchte, da ist nix mehr übrig! 😉
Vor einigen Jahren habe ich meinen Job an den Nagel gehängt um zu reisen. Über 90 Länder habe ich bisher gesehen. Schau dich um und lass dich inspirieren!
Nina von Smaracuja.de hatte großes Glück: ich glaube, sie hat den meisten Käse abbekommen (einen sogar mit fettem Bacon umwickelt). Aber ich befürchte, da ist nix mehr übrig!
😉
Schön! Und ich will diesen Käse 🙂