Von VOLKER WINKEL. „Turn the fucking radio down…It drives me fucking crazy.“ Greyhound-Busfahrer sind sehr direkt zu Fahrgästen. Auch wenn man seine Beine im Gang ausstreckt, gibts direkt ‘nen Rüffel.
Man sieht dann immer, wie der Busfahrer unter seiner großen Schirmmütze kritisch prüfend in den Rückspiegel schaut und als nächstes sein Mikro aus der Seite raus kramt. Dann kommt immer was.
Als ich vor meiner Tour verschiedenen Leuten erzählt habe, dass ich große Strecken durch die Staaten mit dem Greyhound zurücklegen wollte, gabs meistens einen skeptischen Blick und hochgezogene Augenbrauen „Ich bin auch mal mit dem Greyhound gefahren, aber beim nächsten Mal würd ich mir definitiv einen Inlandsflug buchen“, „du weißt aber schon, wer da so mitfährt“, so oder ähnlich die Kommentare.
Das hat natürlich meine Neugierde geweckt und genau das war ja auch die Idee: Land und Leute kennenlernen, nicht nur die touristischen Hotspots abfahren. Und man kommt wirklich durch die ödesten Käffer, die aber um so authentischer sind. Wir halten in Natchez, Tunica Junction oder in so klangvollen Örtchen wie Paso Robles und King City. Wenn der Fahrer gut drauf ist, gibts auch eine Erklärung, wie lange man anhält, ob man eine Rauchen kann und ob Zeit genug ist, die Toilette aufzusuchen – oder ob es es sich sogar um einen „Mealstop“ handelt und es lohnt die Snackbar anzusteuern. Ansagen wie „Don’t go to the restrooms, you will be left behind, I tell you men, don’t go the restrooms“, machen unmissverständlich klar, dass man vielleicht besser direkt im Bus bleibt.
Und dass man nicht unbedingt zurückgelassen werden möchte in der Einöde, durfte ich in Vicksburg, Mississippi, erfahren. Völlig fasziniert von der Kargheit der Steppenlandschaft und der Tatsache,dass ich gerade an so einem abgefahrenen Ort mitten in den USA bin, schaue ich verträumt vorbeirauschenden Trucks auf dem Highway hinterher, als unser Bus auf dem Parkplatz hinter mir auf einmal den Motor anlässt und ohne Warten oder einem wie sonst üblich kurzem Hupen zur Abfahrt einfach losfährt. Das darf nicht wahr sein und ich renne erst zögernd, dann immer schneller und mit den Armen rudernd hinter dem Bus her. Im Bus mein Rucksack und einiges mehr und der Angstschweiß bricht seine Bahnen. Dann kommt plötzlich eine freundlich schauende Frau in Uniform hinter dem Stations-Häuschen hervor und erklärt mir, dass ich mich abregen könnte. Der Bus würde nur um die Ecke auf den Hof fahren, um dort kurz gewaschen zu werden. Ich sollte doch noch einen Sandwich essen gehen. Die anderen seien auch noch drinnen. Danke für den Adrenalinstoß.
Das Beste am Greyhound fahren aber sind die Mitreisenden. Und je weiter südlich man kommt, um so spezieller die Passagiere. Zwischen New York und Washington eher junges, normal aussehendes Publikum, meistens mit Ipad oder sonstwas für einem Tablet ausgestattet und ziemlich desinteressiert am Thema Busreise. Tage später, kurz hinter Memphis steigt ein stämmiger, volltätowierter Mann ein, setzt sich zwei Reihen hinter mich und erzählt zwei kleinen, freundlich lächelnden, weißhaarigen Omis, dass seine Tante gestern Abend gestorben sei und er jetzt nach Baton Rouge zur Beerdigung müsse. Ich lausche natürlich sehr aufmerksam – zunächst eine sehr herzerweichende Story. Er glaubt seit heute Morgen auch an Gott und möchte davon umgehend seiner Motorradgang erzählen. Darüber hätten sie noch gar nicht gesprochen – bisher hätte der Fokus mehr auf Alkohol, Gewalt und Frauen gelegen. Nach einer weiteren Stunde Lebensgeschichte schalte ich ab und genieße die Monotonie des Busfahrens und die immer wilder werdende Landschaft Louisianas.
Neun Stunden später Stopp in Baton Rouge. Kurz vor New Orleans steigen noch einmal viele Passagiere ein. Neben einer Frau im künstlichen Tigerfell-Hausanzug fällt mir ein Typ auf. Er ist wie der Joker aus dem Film „Batman“ über beide Augen tätowiert und hat blaue Badelatschen mit Tennissocken bis zu den Knien zu einer kurzen Hose an. Dazu trägt er einen Leinensack über der Schulter. In New Orleans angekommen überlege ich immer noch, was ich von Gesichtstattoos im Allgemeinen und weißen Tennissocken zu blauen Badelatschen im Besonderen halten soll, als ich von meiner Gastgeberin erfahre, dass dies üblicherweise das Outfit ist, wenn Leute gerade aus dem Knast kommen. Aha. Dann macht die Tätowierung auch wieder Sinn. „The happy sad Clown“ – ein Gefängnis-Tattoo in den Staaten:
“The Joker is always smilling no matter if the card is faced down, when your cards are played and it looks as though u are losing the game remember this. Laugh now cry later.”
(unglaublich gerne würde ich hier ein Originalfoto von dem Herrn präsentieren, aber irgendwas hat mir geflüstert, besser kein Foto zu machen)
Am allercoolsten im Greyhound sind jedoch die Fahrer, die richtig fürsorglich sind. Neben ihrem Job als Fahrer sind sie die gute Seele des Busses. Meistens jedenfalls. Sie tun zwar immer recht genervt und schwer beschäftigt, aber sie passen auf, dass keiner seine Station verpennt. Passagiere mit Handicap werden persönlich aus dem Bus begleitet, verplanten Mitfahrern wird auch beim dritten Mal nochmal ganz genau erklärt, wo sie umsteigen müssen und wann sie in welchen Anschlussbus einsteigen müssen. Bei den Gepäckgrenzen sind sie auch schon mal recht großzügig, wenn zusätzlich zum Reisegepäck noch einiges an Hausrat verladen werden muss. Während einer Greyhound-Tour fährt man am Tag oft 10 Stunden zusammen, alle wollen das Beste draus machen. Selbst Fragen von Touristen aus Germany werden da beantwortet.
Wobei die Fahrer allerdings keinen Spaß Verstehen, ist Mobiltelefonie an Bord. Wenn jemand nur kurz in sein Handy spricht, es öfters als zwei Mal klingelt oder piepsende SMS ankommen, wird man sofort freundlich aber bestimmt per Bordmikro angewiesen, das Handy auszumachen oder nach ganz hinten in den Bus zu verschwinden. Egal ob Geschäftsmann, blonder Engel, Tourist, Knasti oder Gansterrapper. Da verstehen die überhaupt keinen Spaß. Und während ich mein Handy schnell auf lautlos stelle, fänd ich das auch eine gute Maßnahme für die MVV-Busse in München. Da sollten die mal einen Greyhound-Fahrer einsetzen. Der würde da sofort für Ruhe im Bus sorgen. Herrlich – kein: „Schatzi, heute Abend Pasta oder Pizza, Kino oder Kuscheln?“, kein: „ich bin in 2 Minuten im Büro, aber wollt schon jetzt fragen, ob was Wichtiges aufgelaufen ist“. Einfach nur fahren.
Fazit: Greyhound fahren in den USA rockt. Wenn man sich drauf einlässt, ist es die Entdeckung der Langsamkeit. Nach ausgedehnten Städtetouren ist das Busfahren ein echter Segen und nicht nur für die Füße Entspannung pur. Die gleichmäßigen Bewegungen, das sanfte Schaukeln und die Möglichkeit, einfach nur den Gedanken nachzuhängen, zu dösen, zu lauschen und zu gucken – selbst die entlegensten Industriegebiete und Vororte entfalten dabei eine ganz besondere Faszination – ganz abgesehen von den grandiosen Landschaften, die wir durchquert haben.
Wenn einem langweilig wird, kommt man auch schnell mit den Mitreisenden ins Gespräch und man kann berichten, dass man aus Munich, Germany, ist und wo man schon überall war auf der Reise und wie toll das doch alles ist, so unterwegs zu sein. Knistern im Bordmikrofon: „It’s far too loud, you drive me fucking crazy. Calm down“. Schon gut, Mister Busfahrer, bin ja ganz leise. Nächstes Mal sitze ich wieder weiter hinten. Fotos & Text: Volker Winkel
Über den Autor: Volker ist ein ein Freund von mir aus München. Er hat sich eine kleine Auszeit genommen und seinen Traum verwirklicht: einen Monat lang quer durch die USA reisen. Vom Erspartem. Für Reisefreunde berichtet er von seinen spannensten Erlebnissen. Wenn ihr Kontakt zu Volker haben wollt, dann gern einfach über mich.
Sensationeller Artikel. Teilweise so lustig geschrieben, dass ich Tränen lachen musste. Wenn wir das nächste Mal unterwegs sind (nächsten April) probiere ich das mit den Greyhound-Bussen auch unbedingt mal aus. Selbstverständlich mit Handy aus und ganz weit hinten sitzen :-DDD ich war schon so oft in den USA, aber die Greyhounds kenne ich nur hier aus Filmen und bin nie auf die Idee gekommen, dass selber mal auszuprobieren. Also danke für die neue Reiseidee. Mein Mann wird sich bedanken 😀
Großartiger Artikel! Du hast total das Zeug zum Scheiben. Schade, dass die Reise schon vorbei ist denn ich hätte gerne noch sehr viel mehr von deinen coolen Geschichten gelesen. Aber vielleicht kommt ja rückwirkend noch was 🙂
Die Story erinnert mich an meine Greyhound-Fahrten in den USA. Ich war damals gerade 20 Jahre und alleine unterwegs. Bei nächtlichen Fahrten hielt ich meine Tasche immer ganz fest an mich gedrückt, nur um wenig später festzustellen, dass zwar alle im Bus ziemlich laut und derbe sind, aber total freundlich. Wer authentic USA kennenlernen möchte, MUSS Greyhound Busse fahren!
Vor einigen Jahren habe ich meinen Job an den Nagel gehängt um zu reisen. Über 90 Länder habe ich bisher gesehen. Schau dich um und lass dich inspirieren!
Sensationeller Artikel. Teilweise so lustig geschrieben, dass ich Tränen lachen musste. Wenn wir das nächste Mal unterwegs sind (nächsten April) probiere ich das mit den Greyhound-Bussen auch unbedingt mal aus. Selbstverständlich mit Handy aus und ganz weit hinten sitzen :-DDD ich war schon so oft in den USA, aber die Greyhounds kenne ich nur hier aus Filmen und bin nie auf die Idee gekommen, dass selber mal auszuprobieren. Also danke für die neue Reiseidee. Mein Mann wird sich bedanken 😀
Großartiger Artikel! Du hast total das Zeug zum Scheiben. Schade, dass die Reise schon vorbei ist denn ich hätte gerne noch sehr viel mehr von deinen coolen Geschichten gelesen. Aber vielleicht kommt ja rückwirkend noch was 🙂
Die Story erinnert mich an meine Greyhound-Fahrten in den USA. Ich war damals gerade 20 Jahre und alleine unterwegs. Bei nächtlichen Fahrten hielt ich meine Tasche immer ganz fest an mich gedrückt, nur um wenig später festzustellen, dass zwar alle im Bus ziemlich laut und derbe sind, aber total freundlich. Wer authentic USA kennenlernen möchte, MUSS Greyhound Busse fahren!
Ganz meine Meinung! 😉
Oh Gott, ich hätte glaube ich auch einen Herzinfarkt bekommen, wenn der Bus auf einmal ohnen einen losfährt…
Schöner Bericht! Vielen Dank! War zwar schon oft in den USA, bin aber noch nie Greyhound gefahren…sollte ich vielleicht mal machen 🙂
Mit Sicherheit Frau Haselmeyer! Ich denke, Volker hat auch mich total angefixt!
Toll! Gigi, du weißt ja schon von meiner Faszination gegenüber Greyhound Bussen. Volkers toller Bericht hat es nicht besser gemacht… ich will!
Oh sehr gern Nina, nicht dafür 😉 Vielleicht kann man mit einem Greyhound in die Pampa fahren um dort endlich mal Squaredance zu lernen… kicher!