Jenke wusste von nichts. Nur, dass wir über seinen Geburtstag verreisen würden. Selbst am Flughafen war er noch tapfer, den Blick auf den Fußboden gehaftet, bei Ansagen an Bord die Ohren zugehalten. Die Mitreisenden schauten zwar eigenartig – aber egal. Selbst nach Landung, als der Name des Flughafens in großen leuchtenden Lettern über dem Terminalgebäude prangte, auf das wir zuliefern, blieb sein Blick starr auf dem Boden. Braver Junge. Natürlich konnte ich es irgendwann nicht aushalten und habe ihm im Ankunftsbereich erzählt, was er schon geahnt haben muss. (Schließlich sprachen alle um uns nur eine Sprache!). Wir waren in Pisa gelandet. Mehr aber erfuhr er nicht.
Stilecht ging es im Fiat 500 noch etwa 40 Minuten weiter östlich. In die toskanischen Berge. Dort, wo die Landschaft, die Häuser, die Menschen, das Essen aussieht, wie aus einer Toskana-Imagekampagne. Nach San Miniato. Ins Herz der weißen Trüffel. Auf zu einem Trüffelwochenende. Der französische Philosoph Brillat Savarin schrieb übrigens einst: „Der Trüffel macht Frauen zärtlicher und Männer liebenswürdiger.“ Na mal gucken. San Miniato selbst ist winzig klein, die Straßen säumen mittelalterlich anmutende Häuser, eine alte Burg thront auf dem höchsten Punkt. Dass San Minitao sich der Cittaslow angeschlossen hat – eine Bewegung zu Entschleunigung und der damit einhergehenden Verbesserung der Lebensqualität – versteht jeder hier auch ohne hinweisendes Schild am Ortseingang: hier ist alles langsamer, ruhiger, entspannter.


Am nächsten Morgen nach einem sehr winzigen und kaum zu beachtenden Frühstück (lieber im Dorf!) wartete dann die nächste Überraschung: Christina kam, die nette Mitarbeiterin von Entroterra, bei der ich die Sause gebucht hatte. Sie sollte auf dem folgenden kleinen Abenteuer übersetzen. Jenke hatte immer noch keinen blassen Schimmer, wie es weiter gehen sollte. Und staunte, als plötzlich eine Vespa und zwei Helme auftauchten. Grinsend, aber sprachlos, setzten wir ihn auf den Roller, ein kleines Roadbook auf ein Klemmbrett, mich hinten drauf. Und los ging’s. Jenke grinste wie verstrahlt, knatterte durch die Gassen und war glücklich. Erst als wir hinter San Miniato zum Stehen kamen, um wenige Minuten später auf einen Mann mit Hund trafen, war ihm klar: es geht auf eine Trüffelsuche. Für das Dauergrinsen hatte sich der Aufwand gelohnt! Im Eichenwald angekommen, erfuhren wir: die Saison war trocken – und es gab kaum Trüffel. Doch der Trüffelsucher und seine Hündin Macchia waren geborene Rampensäue und legten für uns eine perfekt Demonstration hin. Herrchen versteckte präparierte Trüffel, und Macchia schoss wie der Wirbelwind ins Gebüsch und fand sie. Sehr lustig. Die weiße Trüffel von San Miniato ist in der ganzen Welt bekannt. Der größte Trüffel, der hier jemals gefunden wurde, wog stolze 2520 Gramm. Der Trüffelsucher, der sonst Psychologe ist, konnte in diesem Jahr insgesamt allerdings nur 350 Gramm finden. Immerhin. Wir hatten Spaß, das Dauergrinsen hielt sich. Auguri!
Die Sonne schien, die uns umgebende Landschaft war feudal und langsam knurrte uns der Magen. Für uns war schon ein Tisch im Il Convio reserviert, einem schmucken Restaurante im Tal unterhalb San Miniatos. Zunächst dachten wir, hier wären wir in eine Touristenfalle getappt: aber schon bald füllte sich der Laden mit einheimischen Familien und schnell war klar: wir waren hier die einzigen Touris. Die Vorspeise brachte alles gute, was die Toskana und Region zu bieten hatte, auf eine Platte: eingelegte Gemüse, knusprige Bruschetta, Schinken, Wurst, Trüffelcreme und Pilze. Danach: wir konnten nichts anders (wenn man schon mal hier ist), musste noch mal eine Trüffelpasta hier. Man lebt nur einmal, auguri!
Danach ging es wieder auf die Vespa. Wir hatten gehört, dass im nahen Balconovese, einem winzigen Bergdörfchen, ein Trüffelfest stattfinden sollte. Also nichts wie in. Die Zufahrt auf das Dorf war schon für Autos abgesperrt, was für ein Glück, dass wir noch mit der Vespa hochfahren durften. Der Anblick oben war wie im Film: auf einem winzigen Dorfplatz waren ein paar Zelte und eine kleine Bühne aufgebaut. Auf der fand gerade der Soundcheck statt. Schief und krumm spielte die Renterband, aber sie hatten ihren Spaß. Zwei in die Jahre gekommenen Dorfschönheiten sangen dazu, oft trafen sie sogar den Ton, und schwangen die Hüften galant wie einst Anni-Frida und Agnetha von Abba. Es war schaurig schön. An der einzigen, kurzen Dorfstraße verkauften dann noch ein paar italienische Mamas, was der Ofen hergab, und die Dorfjugend lungerte machomäßig cool auf den Sitzbänken am Kinderspielplatz. Auguri!
Abends dann sollten wir eigentlich im Marrucola essen. Allerdings war der gesamte Speiseraum, bis auf einen (unseren) Tisch, festlich eingedeckt und schnell trudelten ein paar Jugendliche ein. Hier sollte der 18-jährige Geburtstag eines Dorfmädchens stattfinden. Als die Gratulantin eintraf, riss sie die Musikanlage auf – und uns der Geduldsfaden. So wollten wir nicht feiern. Enzo verstand die Misere und zeigte sich als perfekter Gastgeber. Es brachte uns kurzerhand ins Dorf zu einem (oder seinem, das haben wir nicht ganz verstanden) Ristorante, dem Ristorante Accademia da Michele. Zugegeben, zuerst waren wir skeptisch, aber was Michele, der Wirt und sein Team auf den Tisch brachte, hatte uns versöhnt: zunächst Fiori di Zucca fritti, dann für Madame hausgemachte Pasta, für Jenke zartes Bistecca tagliata. Und weil’s so nett war und so köstlich, konnte uns der Chef noch zu einem Dessert überreden. Er brauchte nicht lange. Der saftige, viel zu mächtige, viel zu gute Kuchen von dem er sprach, stand schnell vor uns. Yam!!!!! Wie sich später herausstellte, sprach der Chef nicht nur von gutem Kuchen, sondern auch noch gutes Deutsch. Weil er – Achtung: Zufallsalarm – früher mal eine Liebschaft in Köln hatte. Die Welt ist ein Dorf. Die Welt ist San Miniato. Was für ein doch schöner Abend. Brillat Savarin hatte Recht! Auguri!
Am darauffolgenden Tagen hätten wir eigentlich noch eine Weinprobe gehabt. Aber im festen Glauben, den besten Wein des Dorfes schon bei Enzo erstanden zu haben, checkten wir aus und fuhren die halbe Stunde weiter nach Florenz. Die Sonne schien, der Himmel war blau und der Fiat 500 wollte auch noch ein bißchen kutschiert werden. Von Florenz kannten wir beide wenig. Ich war einmal kurz auf einer Dienstreise dort, hatte es aber nur geschafft, ein Eis zu essen, bevor ich wieder zum Flughafen musste. Florenz, so viel wissen wir jetzt, ist brechend voll. Und ohne Vorbereitung kaum erträglich. Überall Touristen, lange Schlangen vor den interessanten Highlights der Stadt, der Gang über die Ponte Vecchio gleicht einem Sonntag in DisneyLand. Wir hätten es besser wissen müssen. Beim nächsten Mal sind wie schlauer und machen uns schlau. Wir sind doch Ichweisswo und nicht keine Ahnungwo… 😉
Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin schon lange nicht mehr so toll überrascht worden. Ihr könnt euch überaus glücklich schätzen!
Jetzt will ich in die Toskana und was essen! Ich heb wirklich einen riesen Kohldampf bekommen von deinem Bericht. Was für eine tolle “Entführung” auch. Ich möchte auch mal so toll überrascht werden.
Oh ja- und wie!
lecker lecker lecker!